Schon bei der ersten Mac-GUI 1984 bestand Steve Jobs darauf, daß Rechtecke abgerundete Ecken bekamen. Was bei Steve ein Zeichen von gutem Geschmack war, denn runde Ecken werden als schöner empfunden, hat einen wissenschaftlichen Hintergrund:
Runde Formen sind für das menschliche Auge einfacher und schneller zu erfassen. Kreise werden am schnellsten verarbeitet, eckige Objekte am langsamsten. Rechtecke mit runden Ecken liegen dazwischen. Ecken erfordern zusätzliche neuronale Bildverbeitung im Gehirn, sagt zum Beipiel Prof. Dr. Jürg Nänni, der «VISUELLE WAHRNEHMUNG» veröffentlicht hat. Wer also seinen "optischen Code" für den "Computer" im Menschen optimieren will, macht seine Ecken rund.
Seit Urzeiten sind Menschen zudem darauf konditioniert, eckige Objekte zu meiden oder zumindest mit größerer Vorsicht zu handhaben als runde Gegenstände. Ecken tun weh. Ecken verletzen uns. Ecken lösen automatisch eine Vermeidungsreaktion bei Menschen aus. Wir mögen runde Sachen. Rund ist für Menschen schön.
Runde Ecken erleichtern auch die Informationsverarbeitung. Abgerundete Rechtecke verweisen nach innen, auf ihren Inhalt. Scharfe Ecken hingegen zeigen nach außen und lenken die Aufmerksamkeit daher weniger auf das Innere des Rechtecks. Legt man Rechteecke nebeneinander, dann hat man ohne runde Ecken mehr Mühe festzustellen, welche Kante zu welchem Objekt gehört, weil sie gleich aussehen. Mit runden Ecken ist auf einen Blick klar, wozu die Kante gehört, weil die Kurve auf ihr Rechteck zeigt. Bei Diagrammen, beispielsweise UML, kann das Auge geschwungenen Verbindungen besser folgen als rechteckigen Richtungswechseln, weil die runden Ecken den natürlichen Bewegungen von Kopf und Augen besser entsprechen. Bei eckigen Verbindungen gibt es abrupte Pausen bei der Verarbeitung.
Was mag sich also Microsoft bei seinen eckigen Metro-Kacheln gedacht haben?
Diese GUI eckt aber noch aus einem ganz anderen Grund an: Ein Desktop-Rechner oder ein Laptop eignet sich nicht für eine Touch-GUI. Eine Touch-GUI eignet sich nur für Touch-Geräte. Was ist ein Touch-Gerät? Ein Touch-Gerät ist alles, was man frei in der Hand hält und darum eh schon dauerhaft mit seinen Fingern berührt. Was liegt da näher, als diesen Umstand zu nutzen und die Bedienung direkt mit den bereits anliegenden Fingern zu ermöglichen?
Bei einem Laptop oder Desktop jedoch möchte niemand auf dem Display herumfummeln, weil man dazu mit ausgestrecktem Arm arbeiten müßte und der ist dann nach zwei Minuten lahm. Die Schlauberger bei Microsoft lassen darum eine Maus-Bedienung dieser Touch-GUI zu. Was mag daran falsch sein? Eine Maus-GUI wird in stationärer, ruhiger Situation verwendet; man sitzt. Man kann besser zielen. Die Trefferfläche kann kleiner sein. Man kann die Fläche besser ausnutzen, weil die Klickziele kleiner sein dürfen. Eine Touch-GUI hingegen wird während des Spazierengehens nebenbei und in wackeliger Situation verwendet. Die Touch-Flächen müssen größer sein als die Maus-Ziele, nicht nur weil man in Bewegung ist, sondern wegen der dicken Finger. Selbst Mädchen haben keine pixelgenauen Maus-Zeiger als Hände. Darum ist eine Touch-GUI für PCs völlig daneben.
Gesten auf einem Touchpad (vor/im Keyboard beim Laptop) oder einer Touch-Maus (beim Desktop) sind jedoch okay, denn die Finger befinden sich dort in ihrer normalen Haltung für die typische Bedienung und erlauben eine Feinsteuerung in ruhiger Situation, die keine Touch-GUI erfordert. So gibt es zwar Gesten, die bei Touch- und Desktop-GUI gleichermaßen sinnvoll sind, aber die GUI selbst darf nicht gleich sein, wenn man optimale Bedienbarkeit wünscht.
So ist iOS das bekannte Mac OS X ohne seine Maus-GUI, aber dafür mit Touch-GUI. Mac OS X hat Cocoa, iOS hat Cocoa Touch. Die Austauschbarkeit der GUI ist dank der sauberen Schichtung von Mac OS X auch gar kein Problem. Was macht Microsoft? Die gleiche GUI für völlig unterschiedliche Anwendungsfälle: Windows Phone und Windows 8 bekommen im wesentlichen die gleiche GUI. Das mag zum einen am schlechten Geschmack und der Inkompetenz Microsofts bezüglich GUIs liegen, zum anderen aber auch daran, daß ihre GUI nicht sauber vom Kernel getrennt ist und darum nicht einfach ausgetauscht werden kann, wenn man den Kernel unverändert beibehalten will. Somit betrifft anscheinend eine GUI-Änderung alle Plattformvarianten von Windows.