Wer hat's erfunden?
Ein beliebtes Thema bezüglich GUIs ist, wer was erfunden, kopiert oder geklaut haben soll. Ich werde auf verschiedene Aspekte hier eingehen.
Anfang 2007 wurde darüber diskutiert, wer die Live-Suche erfunden habe. Apple hatte sie mit Tiger im Jahr 2005 umgesetzt und Microsoft lieferte etwas ähnliches im Jahr 2007. Microsoft behauptet, die Idee schon 2003 vorgestellt zu haben und Apple wäre lediglich schneller mit der Umsetzung gewesen. Apple hat sich allerdings bereits im Januar 2000 die Technik zu Spotlight patentieren lassen unter Patentnummer 6,847,959.
Vergleiche dazu auch auf Mac Observer: TMO Scoop - Apple Spotlight Patent Reveals 3-Year Head Start on Microsoft [UPDATED]
Aber um die ganze Wahrheit zu kennen, gehen wir zurück in die Mitte der 90er Jahre. Nach System 7 versuchte Apple, ein komplett neues Betriebssystem namens Copland zu schreiben. Dieses wurde zwar von einigen Entwicklern als ihr hauptsächliches Betriebssystem verwendet, es wurde jedoch nicht vollendet. Apple basierte sein nächstes System auf NeXT.
Copland hatte eine Live-Suche und Live-Folders, gespeicherte Suchabfragen, die immer wieder aktualisiert werden, die den heutigen Smart-Folders von Mac OS X entsprechen.
"Copland wird für Macintosh-Rechner auch einige neue leistungsstarke Suchfähigkeiten einführen. Dazu gehört die Möglichkeit, Dokumenten-Inhalte nach Texten zu durchsuchen. Die Ergebnisse der Suche werden dann sortiert nach Trefferhäufigkeit angezeigt. Suchergebnisse können auch für spätere Verwendung gespeichert werden."
Übersetzt aus: The Computer User
(www.is.tcu.edu/userservices/tcuuser/0296/nltr0296Copland.html
)
Packed House Previews Copland at Macworld, Februar 1996.
Zusatz: Eine lokale Kopie des Artikels, da das Original nicht mehr existiert.
"In dem Patent-Antrag für Spotlight hat Apple anscheinend Skizzen verwendet, die zu Coplands Benutzungsschnittstelle gehören. Die Suchfunktion in Copland indizierte alle Dateien auf dem Rechner und ermöglichte den Benutzern, nach beliebigen Texten zu suchen. Sie zeigte anschließend die Ergebnisse und bestimmte sogar deren Bedeutsamkeit daran, wie oft der gesuchte Text in dem jeweiligen Dokument vorkommt."
Übersetzt aus: Low End Mac Apple's Copland Project: An OS for the Common Man, November 2005.
Apple baut auch webähnliche Such- und Wiederauffindungs-Werkzeuge in Copland ein, allerdings auf Basis einer normalen Benutzungsoberfläche. Im Web sucht man normalerweise nicht mit Dateinamen nach bestimmten Informationen, sondern mit Hilfe von Begriffen, die man bei Suchmaschinen eingibt. Copland wird einen Index aller textuellen Informationen, die sich im Dateisystem des Macintosh befinden, dynamisch und transparent bereithalten wie es Suchmaschinen für das Web tun. Man kann Dateien schnell anhand von Schlüsselwörtern aufspüren. Nach jeder Suche zeigt Copland eine Trefferliste, die nach Wichtigkeit sortiert ist ähnlich einer Trefferliste, die man bei einer Websuche erhält. Man kann die Suchangaben als anklickbare Datei speichern und Copland wird die Suchergebnisse immer wieder dynamisch aktualisieren, um den aktuellen Inhalt des Dateisystems zu berücksichtigen.
Übersetzt aus: BYTE
(byte.com/art/9607/sec7/art2.htm
)
GUIs Get a Facelift, Juli 1996.
Zusatz: Eine lokale Kopie des Artikels, da das Original nicht mehr existiert.
"Jaguars Suchfunktion in der Werkzeugleiste kommt mir wie ein halbherziger Versuch vor, die Live-Suche umzusetzen, wie sie für Apples abgebrochenes Copland geplant war. Die geplante Eigenschaft von Copland brachte eine spezielle Art von Fenster mit sich, die eine dynamisch aktualisierte Ansicht des Dateisystems zeigt, die durch benutzerbestimmte Kriterien gefiltert wird. Die Benutzer könnten diese Fenster als spezielle Ordner abspeichern. Zum Beispiel könnte ein Benutzer einen Ordner haben, der immer die zwanzig zuletzt erstellten Musikdateien anzeigt oder alle Dokumente, die ein bestimmtes Wort enthalten."
Übersetzt aus: ars technica Mac OS X 10.2 Jaguar, September 2002.
Für Fachleute (Spezialisten für Benutzungsschnittstellen) war jedoch schon lange vorher klar, wie eine Suchfunktion aussehen müßte, die für Menschen gut geeignet ist: Man sollte nach Inhalten suchen können und nicht nur nach indirekten Hinweisen wie Dateinamen und während der Sucheingabe sollte der Benutzer unmittelbare aktuelle Rückmeldungen erhalten. Von daher war das Ziel grundsätzlich klar und niemand kann für sich die Erfindung dessen in Anspruch nehmen.
Man muß allerdings Apple zugute halten, daß sie etwas derartiges bereits Mitte der 90er programmiert hatten, während Microsoft über so etwas erst 2003 nachdachte und erst 2007, zwölf Jahre nach Apple, in die Tat umgesetzt hat.
Es gab vor dem Macintosh andere mausgesteuerte Systeme, beispielsweise im Xerox Palo Alto Research Center (PARC), und davor in der Forschungsgruppe von Douglas Englebart am Stanford Research Institute (SRI), die jedoch anders zu bedienen waren.
Vergleiche zu diesen Absätzen: Jef Raskin "The Humane Interface", Seite 207 und folgende.
Das Problem mit den Maschinen bei PARC war, daß sie eine Drei-Tasten-Maus verwendeten und jede Aktion mehrere dieser Tasten benötigte. Jef Raskin, Vater des Macintosh-Projektes, wollte es besser machen. Aber schauen wir zuerst einmal, wie man mit einem PARC-System etwas mit der Maus markiert; beispielhaft anhand dessen populärstem Texteditor BRAVO, der typisch bezüglich Selektion war:
Dabei wurde oft der Fehler gemacht, daß die linke und dann die mittlere Taste gedrückt wurde, was den Auswahlvorgang jedoch nicht vollendete sondern neu begann. Das war besonders bei größeren Markierungen sehr frustrierend. Solche Fehler können nur bei mehreren Tasten passieren. Wenn man nun bedenkt, daß das Wort "einfach" von "Eins" kommt, dann war klar, wie eine einfache Maus aussehen sollte, zumal eine Taste jeden Verwechselungs-Fehler von vornherein ausschließt.
Vergleiche außerdem Jef Raskin on the Mouse.
Jef Raskin erfand für den Macintosh daher die Ein-Tasten-Maus und die Methoden, mit ihr zu arbeiten. So konnte auf einfachere Weise mit dem Macintosh grundsätzlich eine Selektion gemacht werden: Egal ob man Text oder etwas anderes auswählen wollte, man zeigte in die obere linke Ecke und drückte und hielt die Maustaste, dann zeigte man in die untere rechte Ecke und lies die Maustaste los. Die Technik nennt sich Klicken und Ziehen und wird heute überall eingesetzt. Sie ist so gut, daß man sich kaum vorstellen kann, ohne sie zu arbeiten.
Der Macintosh verwendet diese vergleichsweise einfache Methode überall. Bei PARC wurde allerdings unabhängig davon auch Klicken und Ziehen für einen unbekannteren Texteditor namens "Gypsy" erfunden. Das Klicken und Ziehen wurde dort jedoch nur in diesem Editor und nicht systemweit eingesetzt. So konnte nur der Macintosh auch graphische Dinge und Icons auf diese Weise auswählen - und jeden Text in jedem Editor.
Klicken und Ziehen wurde also von verschiedenen Personen unabhängig voneinander erfunden. Auf jeden Fall war der Macintosh deutlich einfacher zu bedienen wie man an obiger Liste zur generellen Selektion von Dingen auf einem PARC-System sieht.
Jef Raskin sagt allerdings, daß er damals nicht gesehen hat, daß mehrere Tasten auf einer Maus gut funktionieren könnten, wenn die Tasten gekennzeichnet wären. Wenn die Tasten also dauerhaft beschriftet wären und sie ausschließlich für den bestimmten Zweck genutzt worden wären, dann hätte eine Mehrtastenmaus die bessere Wahl sein können seiner Meinung nach: Beispielsweise hätten zwei Tasten oben "Selektieren" und "Aktivieren" sein können und eine Taste an der Seite "Greifen", die durch Pressen benutzt würde. Das Rad, was einige Mäuse heutzutage benutzen, würde er eher durch einen kleinen Trackball ersetzen: Die Maus bestimmt dann die Position des Zeigers; der Trackball könnte dafür genutzt werden, Objekte zu manipulieren oder eine Selektion zu machen innerhalb von Menüs, die mit dem Zeiger schweben.
Wenn man etwas über die Entstehung der Macintosh- GUI erfahren möchte, gerät man nahezu immer an falsche Informationen, die in den meisten Fällen durch zwei Gründe entstehen:
Es werden nicht die Leute gefragt, die von Anfang an dabei waren und wirklich etwas zum Hergang sagen könnten. Stattdessen werden zweitrangige Quellen ohne weitere Überprüfung verwendet. Es werden bewußt die Tatsachen ignoriert, die die spannende Geschichte, die man erzählen möchte, komplett über den Haufen werfen. Viele Autoren von Büchern und Filmen über die Entwicklung graphischer Benutzungsschnittstellen sind nicht an der Wahrheit interessiert, sondern daran, was sich gut verkaufen läßt als Buch oder in Form von Verwertungsrechten für's Kino und Fernsehen.
Ein weiterer Grund für die Falschinformationen ist, daß es einfacher ist, jede Erfindung auf eine einzelne Person oder Organisation zurückzuführen, als sich die Mühe zu machen, die teilweise verworrenen Entstehungswege nachzuvollziehen. Wenn die gleiche Idee an zwei verschiedenen Stellen auftaucht, ist es am einfachsten, anzunehmen, der eine hätte es vom anderen übernommen.
Kombiniert man nun die Vermeidung von Originalquellen mit dieser Art von Vereinfachung, dann kann man sich schnell weit von der Wahrheit entfernen.
Der beliebteste Fehler ist, jede Entwicklung, die mit graphischen Benutzungsschnittstellen (dies ist übrigens der fachlich korrekte Ausdruck) zu tun hat, PARC zuzuschreiben. Tatsächlich wurde vieles erfunden, lange bevor PARC gegründet wurde. Und gerade andersherum war es die Arbeit, die diese Forscher vorher geleistet hatten, was sie für PARC attraktiv machte, sie anzustellen.
In den 1960er Jahren (und weit danach) waren zeichenbasierte Rechner normal. Sie konnten nur Zeichen darstellen, keine Graphik. Und das in nur einer Schriftart mit optionaler Unterstreichung, Helligkeitsinvertierung und Blinken. Zu der Zeit veröffentlichte Jef Raskin einen Vorschlag, daß etwas, was wir heutzutage What You See Is What You Get nennen, wichtig wäre. Ein paar Jahre später in den frühen 1970ern kamen die Forscher von PARC zu dem gleichen Schluß - unabhängig von ihm.
Zu der Zeit damals hatte niemand Verständnis für die Idee graphisch zu benutzender Rechner. Jef lehrte als Professor an der Universität von Kalifornien, San Diego, Informatik und hatte auch eine Gast-Professur an der Stanford Universität. Wenn er jemandem erzählte, er sei User-Interface-Spezialist, dann wußte niemand damit etwas anzufangen. Die Idee, einen Rechner zu bauen, dabei aber mit dem User Interface als dem wichtigsten Punkt zu beginnen, war für die Computer-Industrie zu der Zeit völlig fremdartig. Bevor es PARC gab, argumentierte Jef in seiner master's thesis, daß man Maschinen von der Benutzungsschnittstelle aus entwerfen sollte. Sein Berater empfahl ihm daraufhin, darüber nicht zu sprechen, weil es keine "richtige" Informatik wäre, woran man erkennt, daß so etwas damals eine ziemlich radikale Idee war.
Als dann PARC gegründet wurde, brachte man dort Anfang der 1970er einige solcher "exotischen" Leute zusammen. Jef hatte übrigens zu keiner Zeit eine formale Beziehung zu PARC, er war dort insbesondere auch nie angestellt. Er war aber froh, daß er Leute kannte, die seinen Ideen nicht ablehnend, sondern positiv gegenüber standen: Während seiner Gast-Professur im Labor für künstliche Intelligenz in Stanford 1972 und 1973 hatten die dort arbeitenden Leute und die von PARC viel miteinander zu tun.
Als Jef am 3. Januar 1978 der 31. Angestellte von Apple wurde, vermied er weiteren Kontakt mit PARC, weil es ihm unethisch erschien, dort weiter beteiligt zu sein.
Jef startete das Macintosh-Projekt Anfang 1979. Er benannte es nach seinem Lieblings-Apfel, dem McIntosh und änderte die Schreibweise des Namens in "Macintosh", um einen Konflikt mit dem gleichnamigen Musikgeräte-Hersteller zu vermeiden. Er war Manager des Projektes bis 1982.
Parallel zum Macintosh-Projekt gab es auch die Entwicklung des Lisa-Rechners bei Apple. Dieser war jedoch zu der Zeit nicht graphisch, sondern eine zeichenbasierte Maschine mit Grünmonitor und ohne Graphikbildschirm. Lisa war nicht wie der Macintosh. Aber die Lisa-Gruppe bekam die volle Unterstützung von Steve Jobs und hatte 200 Mann während Jef mit einer handvoll Leute das Richtige tat in seinem Projekt. Die Graphikfähigkeit kam erst später vom Macintosh zur Lisa.
Steve Jobs stoppte das Macintosh-Projekt mehrmals, weil er es nicht verstand. Jef hoffte, wenn Steve es verstehen würde, indem er ihm ein anderes Beispiel einer graphischen Oberfläche zeigt, bevor sie selbst soweit wären, etwas zu zeigen, dann wäre er wohlwollender. Steve Jobs war eben mit der Idee graphischer Benutzungsoberflächen überhaupt nicht vertraut, kannte er doch nur zeichenbasierte Rechner wie seine Lisa.
So organisierte Jef einen Besuch für Steve bei PARC. Der Besuch hatte keinen technischen Grund, sondern er war politisch. Wenn jemand von PARC Erkenntnisse hätte übernehmen wollen, dann wäre es recht einfach gewesen, denn sie veröffentlichten ihre Ergebnisse "wie verrückt" und sie veröffentlichten viel. Ihre Arbeit war kein Geheimnis. Der Schachzug mit dem Besuch funktionierte. Steve Jobs entschied, so etwas mit dem Lisa-Projekt auszuprobieren. Für die Lisa wurden dann Leute vom Star, einem Rechner, den PARC zu der Zeit entwickelte, und auch Ideen und sogar die exakten Namen der Schriften übernommen. Jef konnte das nicht leiden und er war der Überzeugung, daß sie es im Macintosh-Projekt besser machen können. Die Lisa war dem Star sehr ähnlich. Später hat Jef erfahren, daß Apple Xerox für Besuche mit Aktien bezahlt hat. Der Macintosh hat laut Jef auch etwas davon geerbt; allerdings Dinge, die er nie für gute Interface-Ideen hielt.
Das Macintosh-Projekt lief schon eine Weile, als auch Leute von PARC hinzukamen. Einer von ihnen war Bruce Horn, der von 1973 bis 1981 bei Xerox war und von 1981 bis 1984 bei Apple, also als das Macintosh-Projekt bereits zwei Jahre lief. Bruce sagt, daß es nicht wahr ist, daß das Macintosh-User-Interface von Xerox kam und daß viele Leute dieses dennoch fälschlicherweise behaupten, obwohl manche von ihnen es sogar besser wissen müßten. Er sagt, daß Steve Jobs die Entwicklungsumgebung Smalltalk gezeigt bekam. Bruce führt weiter aus, daß die Lisa-Gruppe bei Apple ein System basierend auf eigenen Ideen kombiniert mit dem, was sie von der Smalltalk-Demonstration behalten hatten, baute. Und, daß die Macintosh-Leute ein ganz anderes System bauten. Es gäbe deutliche Unterschiede zwischen der Benutzung eines Macintosh und der Benutzung von Smalltalk.
Die Unterschiede zwischen Xerox-System-Architekturen und der Macintosh-Architektur seien größer als die Unterschiede zwischen dem Macintosh und Windows, was daher kommt, daß Microsoft während der Entwicklung des Macintosh Einblick in seine Interna bekam, damit sie rechtzeitig Programme dafür fertigstellen konnten. Später beauftragte Bill Gates seinen Chef-Programmierer der Macintosh-Programme, Neil Konzen, damit, eine bessere Version von Windows so zu erstellen "genau wie der Macintosh ist". Kurz vor der Markteinführung des Macintosh drohte Microsoft damit, die Programme nicht auszuliefern, wenn Apple nicht Teile der Macintosh-Technik lizensiert und das Macintosh-Basic fallen läßt, welches fertig war und besser als das VisualBasic von Microsoft. Apple lizensierte Teile und da der Vertrag ziemlich ungenau formuliert war, scheiterten sie später damit, Microsoft gerichtlich davon abzuhalten, zuviel vom Macintosh zu übernehmen. Microsoft hatte ursprünglich nur Programmiersprachen entwickelt, später ein Disk Operating System und die ersten Anwendungsprogramme, die sie erstellten, waren für den Macintosh.
Bruce sagt weiterhin, daß Microsoft den Macintosh als Vorlage hatte, um Windows zu entwerfen. Und im Gegensatz dazu hätten die Entwickler der Lisa und des Macintosh ihre eigene Architektur erfunden. Es wären zwar auch ehemalige Xerox-Mitarbeiter in diesen Gruppen gewesen später, aber das Architekturziel dieser Apple-Maschinen war so andersartig, daß sie ihr Wissen über die Xerox-Systeme nicht so viel nutzen konnten, wie manche Leute denken.
Beim Lesen der englischen Originalausgabe von "Steve Jobs", der Biographie geschrieben von Walter Isaacson, sind mir ein paar Passagen als fehlerhaft aufgefallen, vor allem im 10. Kapitel "The Mac is Born". Darin betroffen ist das erste Unterkaptel "Jef Raskin's Baby", in dem Jef Raskin in einem falschen Licht erscheint:
Raskins Book of Macintosh hatte nichts mit Philosophie zu tun, sondern diente ganz pragmatisch als Dokumentation für die Entwicklung, um nachvollziehen zu können, wann und warum welche Entscheidungen getroffen wurden, damit man ein Jahr später im Projekt nicht über dieselben Sachen wieder von vorne nachdenken muß, falls sie nochmal Thema werden. Begonnen wurde "The Book of Macintosh" mit den Planungs-Dokumenten für das Mac-Projekt, die Jef schrieb, um das Okay von Mike Markkula zu bekommen, der zu der Zeit bei Apple das Sagen hatte.
Wenn man "The Humane Interface" von Jef Raskin liest, erfährt man ausführlich, wie Jef über verschiedene GUI-Varianten denkt und wie man deren Usability beurteilen kann. In diesem Interview erwähnt er es nur kurz. Jef hatte verschiedene graphische Eingabegeräte im Mac-Projekt getestet und dazu auch die Ein-Tasten-Maus und ihre Benutzung erfunden, was in "The Humane Interface" viel ausführlicher beschrieben wird. Jef wollte auf jeden Fall ein graphisches Eingabegerät für den Mac, hätte aber lieber einem Trackball oder einem Tablet den Vorzug vor einer Maus gegeben, obwohl er diese eine Maus selbst für den Mac entworfen hatte. Außerdem hätte er es sinnvoll gefunden, nicht rigoros alles mit der Maus zu machen, sondern nur die Aufgaben, die dafür besser geeignet sind, und die Aufgaben, bei denen die Tastatur effizienter ist, eben per Tastatur. Andere Team-Mitglieder und Steve wollten jedoch unbedingt die Maus (und keinen Trackball oder anderes) und außerdem alles mit der Maus machen. Da Steve schon aus dem Lisa-Projekt rausgeworfen worden war, wollten sie ihn nicht nochmal verlieren lassen, und so mußte Jef letztendlich gehen.
Isaacson schreibt jedoch, daß Jef "keine Maus wollte", was so verkürzt völlig falsch ist. Tatsächlich war es Jef im Endeffekt nur wichtig, überhaupt ein graphisches Eingabegerät einzusetzen. Jef hat viel in dieser Richtung geforscht und experimentiert. Er hatte diverse unterschiedliche graphische Eingabegeräte gebaut und getestet, aber Steve wollte eine Maus und hatte durch diese Entscheidung das Gefühl, das Heft in der Hand zu haben, dabei war die grundlegende Entscheidung, eine GUI und ein graphisches Input-Device zu nutzen, durch die von Jef vorgelegten Alternativen bereits getroffen.
In der Biographie wird Jef weiterhin unterstellt, er hätte ein Cassetten-Laufwerk gewollt, wofür ich jedoch keinen Anhaltspunkt bei Jef selbst (Interview und Buch) oder sonstwo finde. Es gab anfangs diverse offene Fragen beim Design des Macintosh, die beantwortet werden mußten. Und beim Thema Massenspeicher war Cassette/Tape 1979 nur eine von vielen genannten Möglichkeiten. Aber gewählt wurde als einzige zu der Zeit rentable Lösung die Floppy Disk.
Isaacson schreibt, Jef wollte eine zu schwache CPU für den Mac, aber das stimmt nicht, denn es wurden auch hier alle Möglichkeiten in Betracht gezogen. Als Minimum-CPU wurde 1979 der 6502 (wie im Apple //) gesehen, der 6809 galt als wahrscheinlichster Kandidat und die High-End-Option war der 68000.
Ferner meint Isaacson, daß der Mac, wenn es nach Jef gegangen wäre, so wie die "Canon Cat" geworden wäre, die Raskin kurz darauf gebaut hat. Das ist jedoch falsch, weil der Mac als universeller Arbeits-Rechner konzipiert war, die Canon Cat hingegen als eine Mischung aus hocheffizienter Computer-gestützter Textverarbeitung und intelligenter Schreibmaschine mit Netzwerk-Kommunikation. Die Cat hatte übrigens ein 3,5-Zoll Diskettenlaufwerk. Daß die Cat kein großer Erfolg wurde lag nicht unbedingt an dem Gerät selbst, sondern einerseits an der Vermarktung für nur bestimmte Zielgruppen und andererseits an der Investition von Canon in Next, Steves neuer Firma. Die Cat war in verschiedener Hinsicht ihrer Zeit weit voraus, auch dem Mac. So befreite sie den User davon, sich mit einem Dateisystem, Dateinamen und Verzeichnissen beschäftigen zu müssen, und ermöglichte ihm, sich voll und ganz auf seine Arbeits-Inhalte zu konzentrieren. Die Canon Cat bot sogar eine inkrementelle Suche, bei der man Suchtreffer schon während des Tippens angezeigt bekam, ein Feature, was erst mit Spotlight auf dem Mac circa 20 Jahre später verfügbar wurde. (Vergleiche dazu "The Humane Interface" von Jef Raskin). Isaacson stellt die Cat also völlig unpassend und zu Unrecht als den Pfad dar, der "glücklicherweise nicht eingeschlagen wurde", denn die Canon Cat war einerseits für ganz andere (Spezial-)Aufgaben konzipiert und somit nicht der "wahre Mac", wie manche sie fälschlicherweise einordnen, und andererseits dem Mac damals sogar an guter Benutzbarkeit (Usability) voraus.
Steve Jobs und Jef Raskin verbindet traurigerweise auch ihre Todesart. Beide starben an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Jef bekam die Diagnose im Dezember 2004 und verstarb im Februar 2005 im Alter von 61 Jahren. Bei Steve Jobs wurde die Krankheit 2003 festgestellt und er starb im Oktober 2011 im Alter von 56 Jahren. Ich hätte beiden ein längeres Leben gewünscht.
Ich habe folgende Quellen verwendet:
Making the Macintosh, Interview with Jef Raskin
Holes In The Histories, Jef Raskin (jef.raskincenter.org/published/holes.html
)
Zusatz: Eine lokale Kopie des Artikels, da seine Seite nach seinem Tod nun nicht mehr existiert.
On Xerox, Apple and Progress, Bruce Horn
Microsoft, Apple and Xerox - The History of the Graphical User Interface, David K. Every. Insbesondere die Briefe von Jef Raskin und Bruce Horn, die er veröffentlicht hat. Ferner das Zitat von Bill Gates, Windows solle genauso aussehen und funktionieren wie der Macintosh.
A Rich Neighbor Named Xerox, Andy Hertzfeld. Insbesondere über die Neuprogrammierung von Windows durch den Chefentwickler der Macintosh-Programme und die Auslegung des Vertrages zwischen Apple und Microsoft vor Gericht.
Busy Being Born, Andy Hertzfeld. Insbesondere die Photos von Bill Atkinson, die den Sprung der Lisa-Oberfläche von textbasiert zu Menüs und Fenstern zeigen.
The Humane Interface - New Directions for Designing Interactive Systems, Jef Raskin.