Es nimmt in letzter Zeit leider überhand: Journalisten und Blogger äußern sich zu Dingen, von denen sie keine Ahnung haben und zu Themen, die sie gar nicht oder schlecht recherchieren. Ich greife einfach mal mitten rein und ziehe zufällig eine dieser Veröffentlichungen heraus:
Mit dieser einfachen Schlagzeile läutete Hendrik Ankenbrand, Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, das vergangene Wochenende ein. Und das bei einer Zeitung, die von sich behauptet, ihre Publikationen stünden
Ich habe zwar schon viel gelesen, aber noch nie klafften Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander wie dort.
Das grundlegende Mißverständnis beginnt wie so oft mit der Aussage aus dem Jahr 1995 von Steve Jobs "Good artists copy, great artists steal. And we have always been shameless about stealing great ideas." Der erste Satz "gute Künstler kopieren, großartige Künstler stehlen" ist ein Zitat von Picasso. Wer einfachen Geistes ist, nimmt das Zitat wörtlich und versteht nicht, was Picasso meinte, und worauf es auch Steve Jobs ankam.
Ein guter Künstler ist handwerklich so begabt, daß er ein Meisterwerk nachzeichnen, imitieren kann, ohne den Geist dahinter, die Idee, die Inspiration, zu erkennen, warum es so gemacht ist. Er malt es wie ein Affe ab ohne die Grundidee, die Motivation, die Einstellung, den Gedanken, der zu so einem Werk führt, zu begreifen.
Ein großartiger Künstler malt das Werk nicht eins zu eins ab, sondern erkennt die grundlegenden Ideen die dahinter stehen. Er kopiert nicht diese konkrete Implementation oder diese eine Inkarnation, sondern macht sich die Grundidee zu eigen, erkennt das Genie hinter dem Werk und erschafft aufgrund dessen kreativ etwas Eigenes, das dem Geist, der hinter dem Werk steht, gerecht wird.
Steve Jobs zitierte Picasso und wollte ausdrücken, daß sie (er war zu der Zeit nicht bei Apple) stets hervorragende Ideen als solche erkannt hat und daraus Produkte formte, die eine ganz eigene großartige Umsetzung einer generellen großartigen Idee waren.
Wer dieses Zitat stumpf und dumm wörtlich nimmt, hat weder Steve Jobs noch Pablo Picasso verstanden.
Anstatt die Idee der schlichten Optik und der einfachen direkten Bedienbarkeit hinter dem iPhone zu begreifen und etwas Eigenes aufgrund dieser Idee zu erschaffen, imitierte Samsung das iPhone Punkt für Punkt. Samsung kopierte das iPhone anstatt die Idee dahinter zu stehlen, denn das iPhone ist sicher nicht die einzig mögliche Umsetzung eines Smartphones mit schlichter Optik und intuitiver GUI plus leicht erreichbarem Komplettangebot an Software.
Als Jobs mehr als 15 Jahre später Android als "gestohlenes" Produkt bezeichnete, war die Rede von einem Produkt, nicht von einer Idee. Die grundsätzliche Idee, die hinter dem iPhone steckt, zu übernehmen, wäre okay, aber hier wurde nicht die Idee, sondern die konkrete Inkarnation "gestohlen", wobei damit im Sinne von Picasso Kopieren gemeint ist. Das Stehlen (besser: Kopieren) eines Produktes kann man nicht gleichsetzen mit dem "Stehlen" einer abstrakten Idee. Von daher kann man Imitationen der Apple-Geräte nicht mit dem Picasso-Zitat rechtfertigen, weil das Stehlen eine völlig andere Bedeutung hat im Zusammenhang mit dem Picasso-Zitat. Zwei Zitate aus dem Zusammenhang zu reißen und dann unzulässig gleichzusetzen, ist nicht korrekt.
Als Hendrik schreibt "Diebstahl ist nur bei Idioten verwerflich, nicht wenn Götter stehlen - so wie Jobs selbst", macht er wieder den Fehler, das Stehlen, was Picasso meinte, mit dem herkömmlichen Stehlen im Sinne von Kopieren gleichzusetzen. Picassos "Stehlen", was Jobs in dem Interview zitiert, ist, sich eine generelle abstrakte Idee zu eigen zu machen. Das Stehlen, was Jobs Android und Samsung vorwarf, ist, eine von vielen möglichen konkreten Umsetzungen zu kopieren. Da es nicht das gleiche Verhalten ist, ergibt sein Satz, den er an "quod licet Iovi, non licet bovi" anlehnt, keinen Sinn. Jobs nimmt es sich nämlich nicht heraus, irgendetwas eins zu eins zu kopieren, sondern eine große Idee auf ganz eigene Art und Weise und ohne etwas zu Kopieren umzusetzen.
Hendrik schreibt einen Satz, der ironischerweise richtig ist, aber nicht so, wie er ihn versteht:
Die Idee, Computer per GUI zu bedienen, war nicht von Steve Jobs. Das stimmt. Sie war aber auch nicht von Xerox PARC. Die Idee "GUI" (ganz allgemein) hatten verschiedene Leute unabhängig voneinander und lange bevor es Apple oder Xerox PARC gab. Einer von ihnen war Jef Raskin, Vater des Macintosh. Er hat seine ganz eigene Vorstellung von graphischer Bedienung (GUI) mit dem Mac umgesetzt. Siehe dazu auch meinen mit Originalquellen recherchierten Artikel. Andere Leute wie beispeilsweise im Palo Alto Research Center setzten GUIs auf andere ebenfalls individuelle Weise um. Microsoft hingegen orientierte sich an der ganz konkreten Mac-Implementierung von GUI und nicht an der generellen Idee "Graphical User Interfaces". Von den verschiedenen Möglichkeiten, wie man GUIs umsetzen könnte, ist heute leider nur die Mac-Version übrig. Sämtliche Desktop-GUIs sind heute Mac-ähnliche GUIs. Jef hat diese Einfaltslosigkeit stets bedauert. Die meisten haben eben nicht die Idee von GUIs an sich "gestohlen", sondern die spezielle Mac-Umsetzung mehr oder weniger gut kopiert ohne aufgrund der allgemeinen Idee etwas Eigenes zu schaffen.
Hendrik wirft weiterhin Apples GUI-Patente mit FRAND-Patenten in einen Topf. Es gibt andere Wege als iPhone und iPad, um moderne Smartphones und Tablets zu gestalten, man muß dazu nicht Apple exakt kopieren. Andererseits gibt es technische Übertragungsprotokolle und Kommunikationsstandards, an die man sich zwangsläufig halten muß, damit die Geräte Daten übertragen können. Das sind FRAND-Patente, an denen Samsung, Motorola Mobility et cetera Anteile haben, die sie aber zu FRAND-Konditionen lizensieren müssen. Apples Patente müssen nicht lizensiert werden, aber Apple hat sie mindestens Samsung und Microsoft angeboten. Microsoft hat sie lizensiert von Apple, Samsung jedoch wollte das nicht und ließ es auf einen Prozeß ankommen.
Auch gab es nicht "die grafische Oberfläche für Computer", sondern diverse unterschiedliche Implementierungen dieser Grundidee. Erst recht wurde "die GUI" nicht "im Forschungszentrum der Firma Xerox" entwickelt; dort wurde nur eine Variante entwickelt. Jef Raskin entwickelte unabhängig davon und schon zuvor. Die Grundidee "GUI" hatten verschiedene Leute und sie entwickelten verschiedene Lösungen, und Xerox PARC war weder zuerst noch allein an dem Thema.
Jobs wußte auch nicht, "dass die Xerox-Leute irgendeine neue bahnbrechende Entwicklung versteckt hielten". Jobs hatte kein Ahnung von dem Thema GUI und Xerox hielt auch nichts versteckt, sondern publizierte darüber. Allein aus dem Grund, weil Jobs das Mac-Projekt immer wieder stoppte, verabredete Jef ihn mit Xerox, damit Steve Jobs mal eine bessere Vorstellung bekam, was GUIs überhaupt sind. Völliger Unfug ist daher, zu phantasieren: "Die Xerox-Programmierer wehrten sich mit Händen und Füßen gegen den Eindringling". Sie publizierten. Ebenso Unfug ist der Satz: "Jobs erkaufte sich eine Präsentation des neuartigen Betriebssystems". Er bekam die Entwicklungsumgebung Smalltalk gezeigt. Kein Betriebssystem. Erst recht hat Jobs kein "Betriebssystem gestohlen". Die anfangs textbasierte Lisa bekam daraufhin graphische Einflüsse von Xerox und vom Mac-Team. Die Lisa wurde allerdings schon eine ganze Weile lang vorher entwickelt und der Mac ebenso. Speziell die Mac-Gruppe machte allerdings komplett ihr eigenes Ding, unabhängig von und parallel zu PARC und zur konkurrierenden Lisa. Die Lisa wurde, benannt nach Steves Tochter, vor dem Mac rausgebracht, weil das Lisa-Projekt von Steve gefördert, das Mac-Projekt aber von ihm erst nur torpediert wurde.
Die Klage von Apple gegen Windows scheiterte, was aber daran lag, daß die Lizenz für die konkrete Mac-Variante von "GUI", die Apple an Microsoft gegeben hatte, zu ungenau formuliert war und Microsoft eine genauere Kopie der Mac-GUI erlaubte als geplant. Wegen dieser Klage reichte auch Xerox seinerseits eine präventive Klage gegen Apple ein, um von einem eventuellem erfolgreichen Ausgang für Apple möglicherweise seinerseits profitieren zu können. Xerox scheiterte jedoch mit seiner Klage. Die Behauptung, Xerox-Maschinen hätten mit dem Mac zu tun, war jedenfalls absurd, denn das Mac-Projekt lief schon lange vorher und hatte von Anfang an eine eigene GUI. Der Richter wies alle Klagepunkte von Xerox ab, aber aus sehr verschiedenen Gründen, und nicht weil pauschal "die Klagefrist abgelaufen war" wie Hendrik schreibt. Weitere Details finden sich in meinem älteren Artikel über die Mac-GUI und ihre Entstehung, für den ich mehr recherchiert habe als den Hendriks dieser Welt inklusive Wikipedia lieb ist.